Das Leben von Marcel Mayer und seiner Familie änderte sich am 08. Oktober 2018, völlig unerwartet. Was war geschehen?
Marcel ist aktives Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Günzburg. Am 07. Oktober vergangenen Jahres schrillte um 23.25 Uhr sein Funkmelder. In Günzburg musste eine Wohnungstüre geöffnet werden. Er leistete, wie schon so oft in seinem Leben, Hilfe für Andere. Nach dem Einsatz unterhielt er sich noch ein wenig mit seinen Feuerwehrkameraden in Feuerwehrhaus. Seine Freundin Steffi schlief an diesem Abend auf dem Sofa ein. Als er rund eine Stunde nach dem Alarm heimkehrte, war sie bereits ins Schlafzimmer gegangen. Eine Nebensächlichkeit mag man meinen, doch in diesem Fall war es ein wirklicher Glücksfall!
Nach einigen Minuten wurde es dramatisch
Wenige Minuten nachdem Marcel ins Bett gekommen war, bemerkte seine Freundin, wie er nach Luft zu ringen begann. Er reagierte auf Ansprache nicht. Als er nur noch Schnappatmung aufwies, bekam sie es mit der Angst zu tun und wählte sofort den Notruf 112. Ihr Anruf wurde von der Integrierten Leitstelle für Feuerwehr und Rettungsdienst in Krumbach entgegen genommen. Der Disponent am Telefon leitete die junge Frau zu Wiederbelebungsmaßnahmen an und alarmierte umgehend den Rettungsdienst.
Notfallsanitäter Fabian Lindinger vom BRK Günzburg befand sich zu diesem Zeitpunkt mit einem Rettungswagen bei einem Einsatz auf dem Günzburger Marktplatz, als ihn die Integrierte Leitstelle Donau-Iller über Funk fragte, wie schnell er einen Einsatz, die Reanimation eines 35-Jährigen, übernehmen kann. Da seine Patientin im Rettungswagen keiner umgehenden Hilfe bedurfte, entschied er kurzerhand, mit Patientin zum Einsatzort zu fahren und dort die Erstversorgung zu übernehmen. Ein Umstand, der Schlimmeres verhindern würde. Als er dann mitgeteilt bekam, dass es sich um einen Feuerwehrmann handelt, der zuvor bei der Türöffnung gewesen war, wurde es Lindinger bewusst, um wen es sich handeln musste. Marcel und er kennen sich schon seit vielen Jahren.
Parallel dazu wurden das Notarztfahrzeug aus Günzburg sowie der Rettungswagen aus Jettingen zum Einsatzort alarmiert. Marcel’s Freundin Steffi führte rund sieben Minuten lang Wiederbelebungsmaßnahmen durch, bis das erste Fahrzeug des Rettungsdienstes eintraf. Sieben Minuten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten.
Das Team des Rettungsdienstes führte die Reanimation fort, er wurde beatmet, mehrfach defibrilliert und mit Medikamenten versorgt. Darüber hinaus forderten die Retter die Feuerwehr Günzburg zur Rettung von Marcel über den Balkon mittels Drehleiter, sowie das Kriseninterventionsteam (KIT) des BRK Günzburg zur Betreuung der Angehörigen und Kollegen nach.
Marcel’s Freundin Steffi rief in diesen schrecklichen Minuten weinend seinen Bruder Markus an, um ihm mitzuteilen, was gerade geschah. Markus, der selbst auch bei der freiwilligen Feuerwehr aktiv ist, kam sofort vorbei. Er warf einen kurzen Blick in das Zimmer, sah Lindinger und seine Kollegen, welche er aus zahlreichen gemeinsamen Einsätzen kannte, und wusste ab diesem Moment, dass Marcel in besten Händen war. Obwohl er selbst völlig aufgewühlt war, versuchte er einen kühlen Kopf zu bewahren und Steffi Halt zu geben.
Der Kampf ums Überleben ging währenddessen weiter. Nachdem Marcel zum dritten Mal durch den Defibrillator geschockt worden war, konnte wieder ein Puls festgestellt werden. Er wurde daraufhin stabilisiert und in Narkose versetzt. Danach konnte er, mittels der Drehleiter der Feuerwehr, schonend über den Balkon gerettet werden.
Nachdem zwischenzeitlich die Patientin des vorherigen Einsatzes am Marktplatz, welche die ganze Zeit über im Günzburger Rettungswagen gewesen war und von einem der Rettungsdienstmitarbeiter betreut wurde, von dem Rettungswagen aus Jettingen in ein Krankenhaus gefahren wurde, konnte nun Marcel in das Fahrzeug eingeladen werden. Er wurde zuerst zur Stabilisierung in die Klinik nach Günzburg gebracht, um dann im späteren Verlauf auf die Intensivstation der Klinik in Krumbach verlegt zu werden.
Bruder und das KIT waren wichtige Stütze
Marcel’s Bruder Markus hat als langjähriger Feuerwehrmann schon viele tragische Einsätze erlebt. Doch wenn der eigene Bruder betroffen ist, ist die Dimension eine ganz andere. Trotz dieser Tatsache war er ständig für Steffi und ihren 12-jährigen Sohn da. Erst die kurze Zeit später eintreffende Mitarbeiterin des KIT, übernahm dann die Betreuung aller Beteiligten. Sie half, dieses dramatische Erlebnis zu besprechen und aufzuarbeiten. Kostbare Stunden, die für Markus, Steffi und den 12-jährigen Jungen von unschätzbarem Wert waren.
Der Bub, welcher während des gesamten Einsatzes in einem Nebenzimmer geschlafen hatte, hatte glücklicherweise nichts von der Reanimation mitbekommen. Er kam erst später hinzu.
KIT war auch für die Rettungskräfte da
Nachdem sich alle anwesenden Rettungskräfte gegenseitig und auch den Patienten sehr gut kannten, hatte das KIT zusätzlich eine weitere Mitarbeiterin zum Feuerwehrhaus geschickt, um dort die Betreuung von Marcel’s Feuerwehrkameraden zu übernehmen. Zwar wurden die Rettungsmaßnahmen vor Ort sehr routiniert und professionell abgehandelt, allerdings konnte man vor allem an dem Umstand, wie wenig dabei gesprochen wurde, spüren, dass alle auch emotional sehr mitgenommen waren. Das KIT stellt hierbei eine wichtige Stütze für alle dar, um das Erlebte zu verarbeiten, in Gesprächen aufzuarbeiten oder einfach nur da zu sein.
Warum kam es zum Herzstillstand?
Wie die Untersuchungen im Nachgang zeigten, hatte Marcel von Natur aus verengte Herzkranzgefäße, sowie einen Kaliummangel. Diese Umstände führten dazu, dass sich die ohnehin schon verengten Blutgefäße am Herzen verkrampften und somit die Blutzufuhr komplett unterbrochen wurde. Es kam zum Kammerflimmern und damit zum Herz-Kreislauf-Stillstand.
Was passierte in der Zeit danach?
Ziel der Reanimationsmaßnahmen ist das Wiedererlangen eines Kreislaufes. Zwar konnte dieses Ziel in Marcel’s Fall dank glücklicher Umstände und beherztem Eingreifen der Ersthelfer früh erreicht werden, doch ist auch im Nachgang noch lange nicht klar, ob der Betroffene überleben wird und ob der Körper weitere Schädigungen, insbesondere des Gehirns, aufweist.
Die Tage des Bangens stellten für die Angehörigen eine harte Herausforderung dar, doch sie hörten niemals auf an Marcel zu glauben. Mit Erfolg, denn Marcel schaffte es.
Wie Lindinger erzählt, liegt die Überlebenschance nach einem solchen Ereignis hierzulande leider noch bei unter 2%. Das sei vor allem der Tatsache geschuldet, dass sehr selten Wiederbelebungsmaßnahmen durchgeführt werden, bis der Rettungsdienst eintrifft. Doch in Marcel’s Fall hatte eben alles gepasst. Der 35-jährige gehört nicht nur zu den unter 2% der Überlebenden eines solchen Ereignisses, sondern sei auch der erste Patient, den Lindinger in seinen 13 Jahren im Rettungsdienst erlebt hatte, der nach so kurzer Zeit wieder derart fit wurde. Die längste Zeit, so Lindinger, wird es dauern, bis die Feinmotorik wieder vollständig zurückkommt und auch die Sprache wieder das gewohnte Level erreicht.
Spricht man Marcel auf diesen Umstand an, so wird er emotional. Er kann sich an nichts mehr erinnern und nur mutmaßen, welch schreckliche Zeit alle Beteiligten durchgemacht haben mussten. Er kann sich noch bruchstückhaft an den Feuerwehreinsatz davor erinnern, danach hat er erst wieder Erinnerungen als er Wochen später auf der Intensivstation wieder aufwachte.
Marcel war etwa 4 Wochen auf der Intensivstation, danach folgten 4 Wochen stationäre Rehabilitation in Ichenhausen sowie weitere 8 Wochen ambulante Rehabilitation. Auch heute geht er noch einmal wöchentlich zur Reha.
Große Dankbarkeit
Marcel, der seinen zweiten Geburtstag am heutigen Jahrestag feiern kann, spricht von großer Dankbarkeit.
„Es war viel, was mich das letzte Jahr seit dem Ereignis, geprägt hat. Ich bin so dankbar, solche Leute zu haben, die mir so intensiv helfen. Wenn ich diese Personen und Institutionen nicht gehabt hätte, wäre ich heute nicht so weit, wie ich jetzt bin“ sagte Marcel sichtlich mitgenommen im Gespräch.
Er lebt heute mit einem implantierten Defibrillator (miniaturisiertes Herzschockgerät), das ihm nicht nur körperlich ein Stück Sicherheit gibt, sondern auch psychisch bei der Verarbeitung hilft. Marcel führte fort „Es ist mir wichtig, dass man den Leuten, die draußen tagtäglich um das Leben der Menschen kämpfen, mal ein großes DANKE zu sagen. An mir sehen sie, wie viel es bringt, was sie leisten.“
Diesen Dank richtet er in seinem Fall ganz persönlich an die beteiligten Kräfte des Rettungsdienstes und des KIT des BRK Günzburg sowie an die Feuerwehr Günzburg. Darüber hinaus an die Kliniken in Günzburg und Krumbach sowie die Fachklinik in Ichenhausen, aber auch und vor allem an all diejenigen, die ihm seither helfen, wieder „ganz der Alte“ zu werden: Die Teams der Krankengymnastik Körpermitte, Logopädie Dialog, Ergotherapie Eichhorn und der Firma Wanzl samt seiner Arbeitskollegen dort.
Selbstverständlich ergeht der größte Dank an seine Freundin Steffi, die die Situation sofort richtig erkannt und beherzt angepackt hatte, wodurch alle beteiligten Rettungskräfte schnell und optimal handeln konnten, sowie an seinen Bruder samt dessen Familie für die Unterstützung in dieser schweren Zeit.
Quelle: www.bsaktuell.de / Foto: Mario Obeser