Eine Woche im Leben des Feuerwehrmannes Helmut Balkie
Günzburg (kih)
Die Bundeswehr wollte ihn vor nunmehr fast 20 Jahren nicht dort haben wo er gern hin wollte. Da stellte sich für Helmut Balkie die Frage: Was mache ich stattdessen? Die Antwort war bald gefunden: Feuerwehr. Was damals als eine Art „Notlösung“ mit zehnjähriger Verpflichtung begann, entwickelte sich im Lauf der Zeit zur Leiden-schaft.
Der inzwischen 37-Jährige hat sich durch Schulungen und Kurse zum Gruppenführer (die Prüfung zum Zugführer hat er auch schon abgelegt) bei der Freiwilligen Feuerwehr Günzburg hoch gearbeitet. Als solcher trägt er die Verantwortung für eine Löschgruppe, bestehend aus bis zu neun Männern/Frauen und bis zu drei Einsatzfahrzeugen. Je nach Lage der Dinge, so umschreibt Balkie seine Zuständigkeit, gibt er selbständig Anweisungen oder bekommt diese von einem Zugführer.
Gut die Hälfte seiner jährlich ungefähr 100 Einsätze hat er dieses Jahr schon geleistet, ist damit bei etwa einem Drittel der Gesamteinsätze der Günzburger Wehr beteiligt. Wie der Colt bei einem Cowboy, so hängt bei ihm der Funkmeldeempfänger locker und immer blitzschnell griffbereit am Gürtel.
„Natürlich kann man, wenn’s piepst, nicht grundsätzlich alles stehen und liegen lassen“, sagt der technische Angestellte bei den Lech-Elektrizitätswerken. Es gelte da schon die Dringlichkeit des Einsatzes mit den Interessen des Brötchengebers abzuwägen. „Wegen der Beseitigung einer Ölspur kann ich nicht einfach einer wichtigen Besprechung fern bleiben.“ So gesehen gebe es – „und auf diese Feststellung legt auch mein Chef Wert“ – keinerlei Probleme mit dem Arbeitgeber. Und mit der Familie?
Ehefrau Rosi, befragt nach dem Zusammenleben mit einem aktiven Feuerwehrler, legt erst mal die Stirn in Falten. „Zeitlich schon sehr intensiv!“ Keine Seltenheit, bekennt sie, dass, wenn es ihnen endlich mal gelänge, im Freundeskreis zusammen weg zu gehen, nach einem Piepser aus dem Funkempfänger die Frauen für den Rest des Abends al-leine da sitzen. Hinzu komme noch das „ziemlich mulmige“ Gefühl bei großen oder gefährlichen Einsätzen. „Aber“, überzeugt sie sich schließlich selbst, „eine Feuerwehr muss es geben. Das lässt sich nicht ändern!“ Fazit: seit der Geburt der beiden Söhne Christian (zwei Monate) und Louis (zweieinhalb Jahre) liegt die Mitgliedschaft der Ehefrau in der Blaskapelle Nersingen so ziemlich auf Eis – dafür hat der Ehemann seine Aktivitäten in Schützen-, Alpen- und Trachtenverein auch herunter gefahren. Vollen Einsatz aber leistet er als Vorstand der „Feuerwehr-Oldtimer-Freunde“.
Wie ist Beruf, Familie und zeitintensives Ehrenamt unter einen Hut zu bekommen? Helmut Balkie hat sich bereit erklärt, die GZ eine Woche lang unauffällig über seine Schulter blicken zu lassen, beziehungs-weise seine Tagesabläufe selbst in einem Stichpunkt-Protokoll festzuhalten.
Hier also der authentische Bericht über eine Woche im Leben des Feuerwehrmannes Helmut B.: Der gestrige Abend (Mittwoch) verlief ruhig und ich konnte einen kleinen Ausflug mit unserem großen Sohn machen.
Donnerstag: Heute schon um 6.00 Uhr Arbeitsbeginn, damit ich früher aufhören kann. Aber um 7.30 Feuerwehreinsatz. In einem Bürogebäude in Günzburg haben sich während des Betriebsurlaubs Wespen eingenistet. Nachdem ein Teil der Fassade abgeschraubt wurde, konnte das Wespennest beseitigt werden. Dauer: 1,5 Stunden. Ansonsten verlief der Tag normal, jetzt um 17 Uhr kann ich endlich Feierabend machen. Ab 18 Uhr sind bereits die ersten Vorbereitungen für die Übung heute Abend zu treffen. (Bei der Übung handelt es sich um Vorbereitungen für eine große Demonstrationsveranstaltung zum 150-Jahre-Jubiläum am heutigen Samstag. Simuliert werden Drehleiter-Rettung und Sprungkissen-Einsatz. Gruppenführer Balkie befindet sich mit seiner Löschgruppe im Obergeschoß eines Gebäudes am Marktplatz. Ihre Spezialaufgabe: Sicherung der Einsatzkräfte mittels Seilen. Dabei kommen Balkie seine Kenntnisse der Knotenkunde aus dem Alpenverein sichtlich zugute.
Die Familie kommt zu einem Kurzbesuch. Der zweieinhalbjährige Louis ist den Tränen nahe: „Jetzt habe ich meinen Helm vergessen! Ich hab nämlich schon einen eigenen Feuerwehrhelm!“
Freitag: Die Feuerwehrübung gestern ging, mit Nachbesprechung und allem was dazu gehört, noch bis 23 Uhr. Heute Morgen Arbeits-beginn 6.30 Uhr. Der Arbeitstag war sehr anstrengend und endet gegen 14.30. Gott sei Dank heute kein Feuerwehreinsatz. Jetzt sehe ich seit gestern Abend das erste Mal wieder Frau und Kinder. Die Feuerwehr macht Zugbegleitung beim Umzug zur Eröffnung des Volksfestes. Ich darf dieses Jahr ausnahmsweise mit der Familie zuschauen. Der Nach-mittag wird ruhig.
Um 19.30 wird die Feuerwehr Leipheim und Bubesheim zu einem Verkehrsunfall alarmiert. Ich habe Dienst in der Nachalarmierungsstelle Günzburg und darf etwa 30 Minuten den Einsatz am Funktisch begleiten. Jetzt gegen 22 Uhr sind alle im Bett und es kehrt wieder Ruhe im Haus ein.
Samstag: Heute sind wir alle um 8 Uhr aufgestanden. Nach dem Frühstück ist Einkaufen angesagt. Meine Frau geht zur Blutabnahme für die Knochenmarkspenderkartei. Unser Patenkind hat eine Freundin aus der Nachbarschaft kennen gelernt, die beiden können mich überreden, zusammen aufs Volksfest zu gehen. Eine Mutter aus der Nachbarschaft schließt sich an. Jetzt geht’s los! Fünf Kinder, zwei Frauen und ich … Sehne mich nach dem Pfeifen aus dem Funkmeldeempfänger, der mich als Einziger aus dieser Lage befreien könnte – aber nichts da! Um 20 Uhr sind dann alle wieder daheim. Gegen 21.15 bin ich mit meinem Laptop allein.
Sonntag: Der kleine Wecker Christian hat uns um 7 Uhr, und der große Wecker Louis endgültig um 7.30 geweckt. Danach Frühstück bis 9 Uhr. Meine Frau geht mit den Kindern nach draußen, ich koche bis 12.15 Uhr Mittagessen. Am Nachmittag kommt dann mal wieder die Feuerwehr zum Zug. Ich habe von 14 bis 19 Uhr Feuersicherheitswache auf dem Volksfest. Die Wache gestaltet sich ruhig und ohne besondere Ereignisse. Um 19.30 Uhr komme ich nach Hause, bis beide Kinder im Bett sind und schlafen ist es schon fast neun.
Montag: Habe heute Urlaub genommen, um mich um verschiedene Sachen zu kümmern. Gartenarbeit erledigt, dann mit Familie und Bahn nach Ulm gefahren. Während Frau und Großer sich neu einkleiden, besorgen der Kleine und ich Prospekte für den anstehenden Urlaub. Rückfahrt 17.12, aber die DB hat uns bis 18.05 warten lassen. Die Kinder waren nach dieser Wartezeit unerträglich und die Eltern genervt. Hätten doch lieber das Auto nehmen sollen! Abends gehe ich ins Feuerwehrhaus, um mich nach den Problemen mit unserem Funk zu erkundigen. Wir hatten zweimal hintereinander einen kompletten Funkausfall. So wie es jetzt aussieht, haben die Spezialisten des Landkreises das Problem behoben, damit auch im Ernstfall alles funktioniert. Gegen 21 Uhr wieder zuhause, vor dem Fernseher.
Dienstag: Feiertagsruhe. Meine Frau und ich erledigen das Nötigste in Haushalt und Garten, danach kann ich ein paar Minuten herausschlagen, um einige Anrufe bei der Feuerwehr zu tätigen, denn am Samstag ist ja unser großes Fest und jeder hat bestimmte Aufgaben übernommen. Ich muss noch abklären, wie viele Oldtimerfahrzeuge am Umzug teilnehmen.
Mittwoch: Ganz ohne Einsatz geht es bei uns natürlich nicht. Abends wurden wir alarmiert, um in der Günzburger Tiefgarage das aus einem Fahrzeug ausgelaufene Öl abzubinden. Hört sich zwar langweilig und vielleicht unnötig an, aber auf dieser Ölspur ist eine Frau ausgerutscht und hat sich starke Prellungen zugezogen. Also auch diese Einsätze sind wichtig.
Damit endet Helmut Balkies 8-Tage-Bestandsaufnahme. Eine ganz normale Woche also im Leben eines Feuerwehrmannes? Nicht so ganz, denn diese „Normalität“ ist nicht selten begleitet von Situationen emotionaler Extremzustände, von Konfrontationen, die tief im Innersten lang anhaltende Gefühlseruptionen in Bewegung setzen. Etwa wie vor wenigen Monaten geschehen, so schildert Balkie, als ein sieben Monate altes Kind nur noch tot aus den Trümmern eines verunglückten Autos geborgen werden konnte. Ein schockierendes Tiefentrauma für alle Einsatzkräfte, das selbst ein Positiverlebnis wie jenes nur ungenügend zu kompensieren vermag, bei dem ein als Querschnittsfall eingestuftes Unfallopfer sich wenige Wochen später, auf gesunden Beinen stehend, persönlich bei seinen Rettern für die geleistete Hilfe bedankte.
Nur zwei markante Eckpunkte innerhalb vieler ihres Einsatzbereiches, aber auch sie gehören zur „Normalität“ im Leben eines aktiv tätigen Mitglieds der Feuerwehr.